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Die einen verlieren ihr Herz im Luisenpark, ich habe dort meinen Fuß wieder gefunden…

Die Vorgeschichte:

4.8.2013 am frühen Mittag: Motorradunfall am Thuner See in der Schweiz: Operation (mit 3o% Chance, auf dem linken Fuß jemals wieder laufen zu können), Rollstuhl, Achselkrücken, anatomische Krücken. 6.11.2013 morgens im Krankenhaus in Bruchsal: nun steht es fest: Ein Morbus Sudek (neurologische Krankheit, die Schmerzen verursacht, den Fuß bis ins Bein hinauf völlig entkalkt und das vegetative Nervensystem angreift) ist zudem in meinem Fuß eingezogen. Zwei Jahre Krankenhäuser, Schmerzkliniken und Reha’s liegen hinter mir.

 

Nach der letzten Entlassung laufe ich in meiner neuen Heimat Mannheim-Feudenheim (endlich kann ich ab Oktober 2014 wieder selbstständig wohnen) wie ein Storch über die geteerten Feldwege (mit der linken und rechten Hand im Wechsel diagonal die hochgezogenen Knie antippend mit den Worten „ich geh“, „bin sicher“) gemäß einer Therapie, die mein inzwischen muskulär abgebautes linkes Bein, das noch immer traumatisiert ist, wieder integrieren soll. Dank weiterer täglicher ambulanter Rehaprogramme schaffe ich es, wieder Fahrrad zu fahren und wieder zu laufen, auf ebener Strecke ganz ohne Krücken, was auch zur Heilung des Unfallhandgelenkes beiträgt, die 30% sind „Schnee von gestern“.

 

Das Erlebnis:

Mit meinen orthopädischen unbezahlbaren Spezialturnschuhen wage ich es in den Luisenpark.

Ich laufe ohne Krücken, langsam, das Kopfsteinpflaster muss ich noch meiden, der Fuß kann noch immer nicht rechts bzw. links kippen oder kreisen, ist somit nicht schrittstabil, wird es wohl auch nicht wieder werden. Aber ich laufe, laufe, laufe, bin zunehmend sicherer, freier, schneller….. Was geht hier vor? Ich fühle mich so gut, gab es doch so viele Tage, da glaubte ich nicht mehr daran. Ich laufe, bis ich an die beiden Hängebrücken über den Bach gelange.

 

Dort lasse ich mich auf den großen warmen Steinen nieder, ruhe ich mich aus. Ich lausche dem Geplätscher, dem Glucksen und Gurgeln des Wassers , als wäre es eine Stimme, die mir sagt: „Schau hin, da geht noch mehr…., schau und trau dich…“. Vor meinen Augen eine Entenmutter mit ihren noch ganz kleinen Jungen. Sie lassen sich schon treiben, jagen den Mücken hinterher, immer weiter weg von ihrer Mutter, die kurz mal schnattert, sie nicht aus den Augen lässt. Ich bestaune die Kleinen , wie sie trotz der Strömung und den kleinen Stromschnellen über den größeren Steinen im Bach, sich ins Vertrauen begeben und ins Abenteuer. Ich bin voller Bewunderung und verstehe nun den Gesang, das Bachgeflüster, das mir abermals sagt: „Auch du, du schaffst das wieder, geh ins Vertrauen….“ Wie von einer fremden guten Kraft geführt -oder ist es meine eigene Kraft, die zurückkommt, der alte Teil von mir, der einst mutigen, abenteuerfreudigen und schwindelfreien Frau, die das Tor zum vollen Leben wieder auf stößt?- stelle ich mich zwischen die beiden ersten Pfosten des Zugangsteges noch vor der eigentlichen Hängebrücke. Da beginnt meine erste Abenteueretappe. Ohne mich hier an die Geländer aus Seil rechts und links festzuhalten, schreite ich langsam, aber neugierig und vertrauensvoll bergan bis zu den nächsten beiden Pfosten, wo der Steg endet und nur noch hängende, wackelig schaukelnde Bretter mit Stricken verbunden vor mir liegen. Mein Herz schlägt aufgeregt, meine Knie zittern noch. Ich ergreife etwas vorgebeugt die Seile des nächsten Geländers, halte mich fest und schaue ehrfurchtsvoll auf die Brücke. Kurz blicke ich nochmals zu den jungen Entlein, die gerade in diesem Moment neben und unter der Brücke tollen, dann schließe ich kurz die Augen, lausche erneut dem Wasser, den „Worten“ „trau dich, vertraue dir und deiner Kraft……du schaffst es…..“ Die Augen wieder auf, sehe ich bis zum anderen Ende der Brücke und spreche lautlos zu ihr: „Bitte trage mich, begleite mich.“ Das tut sie sodann, behutsam setze ich einen Fuß vor den anderen. Zu Anfang bleibe ich noch nach jedem Schritt stehen und lasse die Brücke ausschwingen, bis sie, mein Gewicht ausbalancierend, ruhiger wird, den Weg wieder frei gibt für den nächsten Schritt. Dann gelingt es mir sogar, mehrere Schritte zu machen, ohne stehen zu bleiben. Der verloren geglaubte Gleichgewichtsinn übernimmt seine Aufgabe.

 

Am Ende des Brückenweges wird es nochmals kniffelig – die Bretter sind hier recht steil-, um wieder auf die Höhe des Steges auf der Zielseite zu gelangen. Jetzt ist mein Fuß ganz gefordert, die Seile geben Halt. Der Morbus Sudek, der ewige Geselle, will mitreden, doch mein Fuß und ich sind stärker, und so schaffen wir uns nach oben bis aufs Podest.

Tränen steigen mir in die Augen, während meine Hände auf den Pfosten links und rechts Platz suchen.Tränen der Freude, des Glücks, des Dankes. Mich auf die Pfosten stützend, drehe ich mich um. Die Handflächen auf das Holz gelegt, sage ich danke, der Brücke, jedem einzelnen Brett, den Seilen. Der Blick hebt sich zum Himmel und ich bedanke mich auch da.Ich lächle den Enten zu, dem Wasser zwischen den Steinen, und mein Lächeln wendet sich nach innen, nun lächle ich mir selbst zu und meinem Fuß, der wieder meiner ist, zu mir gehört, endlich!

 

Ein letztes Mal grüße ich die Brücke: „Namasté!“ und gehe beseelt weiter auf meinem Fuß des Weges……

 

Nachwort: Vielleicht kann meine Geschichte auch anderen Verunglückten und Erkrankten Mut machen, wieder Mut zum Leben, zu Sich selbst zu finden. Es muss ja nicht der Gang über eine Hängebrücke sein, darauf kommt es auch gar nicht an. Es gibt für jeden in diesem wunderbaren Park einen Ort und einen guten Moment des ins Vertrauen Gehens, des Sich Findens, des Seins und womöglich den nächsten Schritt zu wagen, mag er noch so klein erscheinen. So kann es auch der offene Blick auf das Wolkenbild sein, das bewusste Einatmen des Blumenduftes, das Hören der vielen Wasservögel oder der entspannenden Musik in der Klangoase, des sich Ausprobierens auf den Klanginstrumenten oder des Wahrnehmens und sich Spürens auf dem Sinnespfad ….. und vielleicht begegnet auch „dir“ dann ein Igel auf dem Nachhauseweg zu später Stunde…. Es geht um Annahme, um Geduld und Selbstheilung. Auch wenn es immer Grenzen gibt, Dinge, die nie mehr werden, wie sie waren, Dinge, die man nicht mehr tun, erleben kann – auch bei mir ist das so- so ist es die Entscheidung, nicht danach zu schauen, was nicht mehr geht, sondern was wieder geht, anders geht noch gehen wird…..

Mit ganz lieben Wünschen Kim, 48 Jahre alt.

 

 

 

 

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