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Zwei Karpfen aus dem Kutzerweiher

Zwei Karpfen aus dem Kutzerweiher
Seit ich mich erinnern kann, ist mein Vater angeln gegangen.
Manchmal durfte ich mit. Was war ich stolz, wenn wir früh am Morgen mit den Rädern in den Tag starteten. Es war eine seltene Auszeichnung für mich, bei solchen Gelegenheiten mitgehen zu dürfen. Es bedeutete, dass mir mein Vater zutraute, stundenlang geduldig und vor allem stumm in seiner Nähe auszuharren.
Aber es gab einen Morgen, an dem ich nicht mitdurfte. Auf eine für mich geheimnisvolle Weise hatte mein Vater die Erlaubnis bekommen, im Kutzerweiher zwei Karpfen zu angeln.
Den Kutzerweiher kannte ich gut. Umstanden von mächtigen Bäumen lag er dunkel und trübe im Oberen Luisenpark. Nun sollte er als Vorbereitung für die Bundesgartenschau umgestaltet werden. All die Karpfen, die sich dort, seit ich denken konnte, im trüben Wasser tummelten, mussten weg.
Ein großes Ereignis! Sicherlich war es aus Anglersicht keine echte Herausforderung zwei dieser trägen Geschöpfe aus dem Wasser zu holen. Schon damals schnappten sie begierig nach jeden Brotkrumen, den ihnen Spaziergänger zuwarfen.
Meine Mutter war nicht sehr verwöhnt, was die Angelerfolge meines Vaters anging, und Karpfen hatten wir noch nie auf dem Tisch gehabt! So wollte alles gut vorbereitet werden: Rezeptbücher wurden gewälzt, Rat bei meiner Großmutter eingeholt. Ich meine mich deutlich an Debatten über Art der Zubereitung zu erinnern. Zwei Karpfen auf dem Tisch, das war für unsere Familie eine Menge Fisch. Freunde wurden eingeladen.
Das Abfischen fand im Morgengrauen statt. Ich denke es war ein Werktag, als die Fische bei uns zuhause ankamen. Zum großen Festessen waren es noch ein paar Tage.
Gar so riesig, wie ich mir die Karpfen vorgestellt hatte, waren sie in Wirklichkeit nicht.
Zu meiner großen Begeisterung durften sie noch einige Zeit in der Badewanne schwimmen.
Das Badezimmer wurde zum Zentrum meiner Welt. Fortan verbrachte ich Stunden auf dem rosa Frottévorleger kniend. Über den Wannenrand gebeugt, sprach ich leise und beruhigend auf die reglos im klaren Wasser stehenden Fische ein.
Wie weich sie sich anfühlten! Überhaupt nicht glitschig, wie meine Großmutter behauptet hatte.
Auch andere Besucher fanden sich ein. Ich hörte leise gemurmelte Spekulationen, dass der Aufenthalt in sauberem Wasser dem späteren Geschmack nur gut täte. Und ich hörte besorgte Stimmen, dass das Kind bestimmt noch krank würde, immer mit den Armen im kalten Wasser.
Natürlich hatte ich ganz leise Hoffnungen, meinen Karpfen bliebe das Schicksal erspart, im großen Topf meiner Mutter zu landen. Aber schon als Kind war ich realistisch genug, die Entschlossenheit meiner Familie richtig einzuschätzen.
Meine Mutter traf aufwendige Vorbereitungen und die Karpfen mussten aus der komfortablen Badewanne in eine Zinkwanne in die Waschküche umziehen.
Dort unten in der kühlen und düsteren Waschküche habe ich die beiden dann nicht mehr besucht.
Ich sah sie erst wieder, als sie Sonntagmittags dampfend auf der Servierplatte lagen.
Alle Gäste saßen erwartungsvoll um den Esstisch. Meinem Vater gebührte selbstverständlich die Ehre, die Fische zu zerlegen. Unsere Teller füllten sich – die folgenden Ereignisse haben mich vergessen lassen, was sich da alles auf unseren Tellern türmte.
Ich nahm behutsam einen kleinen Bissen und kostete. Das sollte der viel gepriesene Geschmack sein, um den sich seit Wochen alles drehte? Mein Mund füllte sich mit einer Masse, die eindeutig nach Moder, Tümpel und tranigem Fett schmeckte. Ich zog die Schultern hoch und beugte mich mit gespitzten Ohren tief über meinen Teller.
Am Tisch herrschte Schweigen. Ein einzelnes Räuspern. Das Schweigen wurde tiefer und endlos. Schließlich kam das alle erlösende Machtwort: „Das“, gemeint waren die Karpfen, “ das kann man nicht essen!“
Erleichtert wurden alle munter. Schade um die Mühe! Und eigentlich hätte man es ja wissen müssen, sicherlich waren sie alt! Nie richtig in Bewegung, immer nur gefüttert, das trübe Wasser und all der Schlamm…
Es wurde heftig und laut debattiert, während meine Mutter das Festmahl leise entsorgte.
Später aßen wir Pfannkuchen.
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